Sprache als Kernkompetenz
- Einführung
- Was ist Sprache?
- Evolution der Sprache – alles begann mit dem Small Talk
- Sprache als Schlüssel zur Welt
- Der Schlüssel zu guten Noten – Sprache als Kernkompetenz
- Beeinflusst Sprache unser Denken?
Einführung
”Sprache ist ein Verkehrsmittel; so wie die Eisenbahn die Güter von Leipzig nach Dresden fährt, so transportiert die Sprache die Gedanken von einem Kopf zum anderen.” Wilhelm Oswald (1853-1932), dt. Chemiker, Physiker u. Philosoph Menschen sind die einzigen Lebewesen, die eine derart komplexe Sprache entwickelt haben. Sprache ist das wichtigste Mittel unserer zwischenmenschlichen Kommunikation und Kommunikation ist das wohl wichtigste Band zwischen uns Menschen: wir tauschen Informationen aus, wir sprechen über unsere Gedanken und Gefühle, wir fordern andere auf, etwas zu tun und vieles mehr. Darüber hinaus ist Sprache das wesentliche Transportmittel zur Wissensvermittlung in der Schule: wer die Sprache der Lehrkraft und der Lehrbücher nicht beherrscht, kann dem Unterricht nicht folgen und verpasst wesentliche Informationen. In diesem zweiten Teil des Kleinen Leitfadens | Kommunikation mit KindernSprache als Kernkompetenz geht es um Sprache als Schlüsselfertigkeit für den Lernerfolg in der Schule. Durch Sprache treten wir mit anderen Menschen in Kontakt, erschließen wir uns die Welt und eignen uns Wissen an. Sprachgewandtheit und Ausdrucksfähigkeit haben einen maßgeblichen Einfluss auf unsere Teilhabe an der Gesellschaft und unseren schulischen und beruflichen Erfolg. Zu Beginn stelle ich ganz kurz dar, was Sprache eigentlich ist, gefolgt von der Entwicklung der menschlichen Sprache im Verlauf der Evolution des Menschen. Danach zeige ich die Bedeutung der Sprache für den Schulerfolg auf. Am Schluss gehe ich der Frage nach, welche Bedeutung die Sprache für unser Denken hat und ob wir mit Selbstgesprächen unser Denken beeinflussen können.Was ist Sprache?
Aus Sicht der Linguistik, der Sprachwissenschaft, ist Sprache ein System aus Zeichen: jedes Wort ist eines dieser Zeichen und hat sowohl eine Form als auch eine Bedeutung. Die menschliche Sprache besteht aus einer Vielzahl von Zeichen/Wörtern, die mittels grammatikalischer Regeln zu unendlich vielen Aussagen verknüpft werden können. Erst die richtige Verknüpfung der einzelnen Zeichen/Wörter, ermöglicht es, einander zu verstehen. Im speziellen Sinn bezeichnet das Wort Sprache eine bestimmte Einzelsprache wie zum Beispiel Deutsch, Englisch oder Japanisch. Als Muttersprache oder Erstsprache bezeichnen wir die erste in der Kindheit erworbene Sprache. Der ungesteuerte Erwerb einer Zweitsprache in früher Kindheit findet in zweisprachigen Familien oder nach dem Wechsel in ein anderes Land statt. Der Erwerb weiterer Sprachen durch gezielten Unterricht wird als Fremdsprachenerwerb bezeichnet. Obwohl die Sprache einem ständigen Wandel unterworfen ist, sind Wortneuschöpfungen schon seit Jahrtausenden eine Seltenheit. Die Sprache entwickelt sich durch Wortbildung: es verschieben sich Sinn und Bedeutung eines Wortes und es werden Fremdwörter neu aufgenommen. Die Wortsprache ist aber nur ein Teil des Signalsystems, das wir zur Kommunikation nutzen. Einen ähnlich großen Anteil an unserer Kommunikation hat die Körpersprache, auf die ich hier aber nicht eingehen werde.Evolution der Sprache – alles begann mit dem Small Talk
Zur Evolution der Sprache gibt es noch viele offene Fragen, da Sprache keine Spuren hinterlässt wie zum Beispiel Fossilien. Trotzdem möchte ich Ihnen hier einige interessante Ansätze aus der Forschung ganz kurz beschreiben. Im Jahr 2001 wurde das als „Sprachgen“ bezeichnete FOXP2-Gen gefunden, das für Spracherwerb und Lautäußerungen notwendig ist. Man dachte damals, das Schlüsselgen für die menschliche Sprache gefunden zu haben, doch die Forscher gehen heute davon aus, dass es nicht allein für die Redegewandtheit des Homo sapiens verantwortlich sein kann. Dieser genetische Ansatz legt angeborene Fähigkeiten bei der menschlichen Sprachkompetenz nahe, aber die genaue Bedeutung dieses Gens für die Sprachfähigkeit ist noch unbekannt. Daneben gibt es noch einen anatomischen Ansatz, der sich mit dem Bau im Bereich der Kehlkopfregion beschäftigt. Der permanent abgesenkte Kehlkopf des Menschen begünstigt die Artikulation, also die Lautbildung. Diese anatomische Besonderheit der menschlichen Kehlkopfregion ist einzigartig im Tierreich, anders als Varianten des FOXP2-Gens, die inzwischen in vielen Tierarten gefunden wurden. Vor der eigentlichen Sprachentwicklung standen vermutlich Gesten. Einen Hinweis darauf liefern Menschenaffen, die in Gefangenschaft eine Gebärdensprache erlernen und sinnvoll anwenden können. Auch menschliche Babys nutzen vor dem Spracherwerb Gesten, um sich zu verständigen. Immer mehr Wissenschaftler sehen die ursprüngliche Funktion unserer Sprache nicht mehr in erster Linie zur Weitergabe der Werkzeugkultur, sondern im sozialen Austausch innerhalb der Gruppe. So geht eine Theorie davon aus, dass die Mütter unserer Vorfahren ihre Babys manchmal ablegen mussten, um Kräuter, Beeren und Blätter zu sammeln. Die schreienden Babys wurden dann durch „gutes Zureden“ von ihren Müttern beruhigt. So entstand die sehr melodische „Ammensprache“ mit hoher Stimmlage und starken Betonungen, die alle Eltern ganz automatisch im Umgang mit ihren Babys verwenden. Auch in der Gruppe diente die Sprache anfangs ausschließlich der sozialen Beziehungspflege, sozusagen einem „Lausen“ in Form von Small Talk. Die Fähigkeit zu Wortbildung und Satzbau ist nach neueren Erkenntnissen schrittweise aus primitiven Kommunikationsformen entstanden. Vermutlich war erst der moderne Mensch Homo sapiens vor rund 100.000 Jahren dazu in der Lage, ausgereifte Sätze mit einer richtigen Grammatik zu bilden. Wissenschaftler gehen heute nicht mehr davon aus, dass es eine angeborene Universalgrammatik gibt, wie es der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky in den 1950er Jahren postulierte. Dieser letzte Schritt in der Entwicklung unserer menschlichen Sprache ist erkennbar an der explosionsartigen Zunahme an kulturellen und technologischen Erfindungen.Sprache als Schlüssel zur Welt
„Sprache ist der Schlüssel zur Welt“, lautet ein berühmtes Zitat Wilhelm von Humboldts. Genauso lautet auch der Untertitel des Bundesprogramms „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“, denn wissenschaftliche Studien zeigen, dass sprachliche Bildung möglichst früh beginnen sollte, um besonders wirksam zu sein. Sprache ist der Schlüssel zu Bildungschancen, und zwar für alle Kinder von Anfang an. Für dieses Programm stellt der Bund zwischen 2016 und 2022 über 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Sprachentwicklung ist ein komplexer, lebenslang andauernder Lernprozess. Er beginnt mit der Geburt und ist von wesentlicher Bedeutung für die Gesamtentwicklung eines Kindes, denn die Sprache bestimmt, wie wir mit anderen interagieren, wie wir unsere Gedanken und Gefühle ausdrücken und Beziehungen aufbauen. Ein Kind, das sich gut ausdrücken kann, ist selbstbewusster und unabhängiger. Zu den effektivsten Mitteln der Sprachförderung zählen am Alltag orientierte Sprechanlässe. Beim gemeinsamen Essen, Basteln, Malen und Spielen lernen Kinder von anderen, erweitern ihren Wortschatz, verbessern ihre Aussprache und entwickeln wertvolle soziale Kompetenzen. Als Eltern haben Sie die Möglichkeit, diese Lernprozesse zu begleiten und zu fördern. Neben gemeinschaftlichen Alltagssituationen regen altersgerechte Kinderthemen und Bücher zum Hören, Sprechen und Weiterdenken an. Dabei trainieren die Kinder neben sprachlichen auch kognitive und soziale Kompetenzen, wie das Verstehen von Zusammenhängen, das aufmerksame Zuhören und das Eingehen auf andere.Der Schlüssel zu guten Noten – Sprache als Kernkompetenz
Der Begriff Kompetenz wird allgemein als Fähigkeit, Kenntnis, Wissen aber auch Können definiert. Im Gegensatz zum Talent ist Kompetenz eine erlernbare Fähigkeit, die angeeignetes Wissen nutzt, um bestimmte Aufgaben meistern zu können.
Die Lernpsychologie unterscheidet zwischen Wissen, Können und Kompetenz.
Wissen:Menschen eignen sich im Verlauf ihres Lebens ein bestimmtes Wissen an, das sie in bestimmten Situationen abrufen Können: Das erworbene Wissen wird in vergleichbaren Situationen immer wieder angewandt und führt so zum routinemäßigen, fast unbewussten Gebrauch.
Kompetenz: Durch Anwendung von Wissen und Können werden neue und unvorhergesehene Situationen gemeistert. Kompetenz ist das Zusammenspiel von erlernten geistigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Lösung von neuartigen Problemen.
Eine Vielzahl von Studien hat übereinstimmend gezeigt, dass Sprechen, Lesen und Schreiben die wichtigsten Schlüssel zu guten Noten und damit auch für den Erfolg in Schule und Beruf sind. Sprache ist wie ein Nährboden, auf dem die Schulnoten gedeihen, auf dem sich das Denken ausbildet und auf dem unsere Argumente und Formulierungen stichhaltiger werden. Alle Untersuchungen über schulische Leistungen und berufliche Qualifikationen stellen zwei Faktoren als besonders wichtig heraus: eine sozial-emotionale Komponente und die Lesekompetenz. Die sozial-emotionale Komponente kann mit Liebe, Wärme und Zusammenhalt im Elternhaus umschrieben werden. Die Lesekompetenz hängt im Wesentlichen von elterlichen Einflüssen ab und nicht so sehr von der Schule. Es hat sich gezeigt, dass Kinder gerne lesen, wenn die Eltern ihnen regelmäßig vorlesen, wenn ein Interesse für Bücher schon vor dem Kindergarten geweckt wurde und wenn Kinder vor dem zwölften Lebensjahr beginnen, selbst Bücher zu lesen. Leider lesen heute nur noch weniger als die Hälfte aller Eltern ihren Kindern regelmäßig vor, so dass der Anteil der Kinder, die täglich in einem Buch lesen, mit jedem Jahr geringer wird. Die größten Konkurrenten des Lesens sind Fernsehen, Computer, Spielkonsolen und natürlich auch das Smartphone. Dabei führt laut einer PISA-Studie insbesondere das gute Leseverständnis zu besseren Noten nicht nur im Deutschunterricht, sondern auch in allen anderen Fächern. Sprechen, Lesen und Schreiben sind demzufolge Kernkompetenzen, die sich auf alle Schulfächer und somit auch auf den schulischen und beruflichen Erfolg auswirken. Je sicherer und umfassender Kinder und Jugendliche ihre Muttersprache beherrschen, desto bessere Bildungschancen haben sie. Erfolgreiche Bildungsverläufe sind untrennbar mit dem Erwerb der Muttersprache verbunden. Sprachkompetenz ist also richtungsweisend für den Bildungserfolg.
Beeinflusst Sprache unser Denken?
Diese Frage wird in Psychologie und Linguistik seit vielen hundert Jahren diskutiert und hat vielfach ideologischen Charakter zwischen zwei extremen Sichtweisen angenommen. So formulierte Platon den Satz „Denken ist das innere Gespräch der Seele mit sich selbst“ und setzte somit die Sprache mit unseren Gedanken gleich. In den 1930er Jahren stellten die Linguisten E. Sapir und B. E. Whorf die These auf, dass Sprache die Art unseres Denkens präge. Eine ganz andere Sichtweise vertritt jedoch Steven Pinker in seinem Buch „Der Sprachinstinkt“ von 1994. Er behauptete, Denken habe nichts mit Sprache zu tun und postulierte eine wortlose Gedankensprache namens „Mentalesisch“, die von allen Menschen beim Denken genutzt wird. Nur für die Kommunikation der Gedanken wird dann die Gedankensprache in eine konkrete Wortabfolge der jeweiligen Muttersprache übersetzt. Erst die neuere experimentelle Forschung macht an vielen Stellen klare Aussagen möglich, die von D. Dörner zusammengefasst wurden. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich genau zwischen diesen Extremen: Denken ist sowohl sprachlich also auch nichtsprachlich. So zeigen diese Experimente, dass Sprechen mit sich selbst das Denken wesentlich erleichtert und verbessert. Wenn Probanden daran gehindert werden, mit sich selbst zu sprechen, dann können sie auch nicht mehr denken. Das Denken selbst erfolgt jedoch nichtsprachlich: bei der Lösung eines Problems stellen wir uns Fragen, die dann Suchprozesse im Gedächtnis auslösen. Diese Suchprozesse und die Antwortproduktion sind jedoch nichtsprachlich und unserer Beobachtung nicht zugänglich. Diese nichtsprachlichen Prozesse werden jedoch immer durch sprachliche Prozesse in Gang gesetzt, oder wie Wilhelm von Humboldt sagte: „Die Sprache ist das bildende Organ der Gedanken“. Sobald Kinder sprechen können, führen sie auch Selbstgespräche. Diese sind oft für andere hörbar, zum Beispiel während ein Kind alleine spielt. Die Selbstgespräche der Erwachsenen sind meist eine stille Unterhaltung mit sich selbst. Selbstgespräche helfen uns dabei, unser Verhalten zu planen und zu überwachen und unsere Gefühle zu steuern. Darüber hinaus wird durch die Konversation im Kopf unsere Kreativität gefördert. Aber können wir mit der Wortwahl in den Selbstgesprächen unser Denken und unsere Gefühle beeinflussen? Antworten auf diese Frage finden Sie im dritten Teil des Kleinen Leitfadens | Kommunikation mit Kindern mit dem Titel Sprachgebrauch.Bitte senden Sie Fragen, Rückmeldungen und Anregungen zu diesem Teil des Kleinen Leitfadens | Kommunikation mit Kindern als E-Mail an martina.moog@denkbar-anders.de
Vielen Dank!
Martina Moog